Im Rahmen der Premiere der European Outdoor Filmtour hatte ich die Möglichkeit mit einer der Protagonistinnen der diesjährigen Filmreihe zu sprechen: Sonya Wilson. Die taube Kletterin will die Kletter-Community von hörenden und tauben zusammenbringen, sie will den technischen Fortschritt für alle nutzbar machen und ist ein Vorbild, wenn es darum geht, Schwierigkeiten zu meistern. Im Interview spricht sie über das Klettern und – natürlich – Kommunikation.
Es ist mein erstes Interview, in dem mein Gegenüber nicht spricht – wobei: das ist falsch. Sonya Wilson spricht sehr wohl, nur verstehe ich ihre Sprache nicht. Die Kletterin ist taub und spricht Gebärdensprache. Eine Dolmetscherin bringt meine Fragen zu ihr und ihre Antworten zu mir. Und auch wenn der „Ton“ des gesprochenen Wortes von meiner Linken kommt, halten doch die mir gegenüber sitzende Sonya und ich konstant Blickkontakt. Etwas ungewohnt ist das anfangs, aber irgendwie direkt vertraut. Ich glaube, es liegt an Sonyas offener Art. Sie ist herzlich, offen und wir haben eine gemeinsame Leidenschaft: das Klettern.
Raus aus dem Alltag
bock-auf-draussen.de: Was bedeutet Klettern für dich?
Sonya Wilson: Klettern bedeutet für mich, mich von all dem Bullshit des Alltags frei zu machen und einfach mich selbst und das an der Wand sein zu genießen. All der Stress, die Herausforderungen des alltäglichen Lebens bleiben hinter mir. Ich bin einfach nur klettern. Und ich lerne jedes Mal mehr über mich selbst, wenn ich klettere. Ich kann mich selbst herausfordern. Die Erfahrungen, die ich beim Klettern mache, kommen mir im Alltag zu Gute.
Inwiefern?
Wenn ich klettere, habe ich mein Ziel vor Augen. Ich weiß, wohin ich will – und ich gehe langsam und bestimmt meinen Weg dort hin. Ich gebe nicht auf. Und das ist eine Parallele zu meinem Leben abseits des Felsens. Ich bin oft mit Grenzen, mit Herausforderungen konfrontiert, auch aufgrund meiner Taubheit. Aber ich habe gelernt, dass ich nicht aufgeben darf. Ich muss vielleicht einfach einen anderen Weg finden.
“Die goldene Regel ist: halte es einfach und übe es ein.”
Sonya Wilson
Ich klettere selbst auch. Dabei kommuniziere ich natürlich oft und viel mit meinem Partner – über die Route, die obligatorischen Signalwörte wie „Seil“, „zu“, „ab“. Wie kommunizierst du mit deinem Seilpartner?
Das ist nicht so schwer. Man muss es einfach einfach halten. Wir kommunizieren viel mit den Augen. Man kann Gesten oder Handzeichen geben, die man mit seinem Partner abgesprochen hat. Im Grunde kann man alles nutzen, was beide verstehen. Die goldene Regel ist: halte es einfach und übe es ein. Jeder muss die Zeichen des anderen verstehen. Du kennst ja bestimmt auch Situationen, in denen du deinen Partner nicht hören kannst, vielleicht weil es zu windig ist oder man zu weit weg ist.
Klar, man kommuniziert zum Beispiel über ziehen am Seil oder ähnliches…
Ganz genau. Das nutzen wir auch. Es kommt einfach auf die Situation an. Ich versuche nicht zu viel mit „Seilsignalen“ zu arbeiten, weil es sehr leicht zu Missverständnissen kommen kann, zum Beispiel, wenn das Seil hakt oder plötzlich etwas nachgibt, weil es sich von einer Felsnase löst oder ähnliches. Wir versuchen immer mehrere Strategien zur Kommunikation parat zu haben, falls eine nicht funktioniert. Wir haben für solche Situationen Back-ups und passen uns an die jeweiligen Gegebenheiten an.
Und wir kommunizierst du mit anderen Kletterern, zum Beispiel, wenn du an einen Spot kommst?
(Lacht) Ich hole mein Handy raus…
(lacht) Klar, willkommen im 21. Jahrhundert…
Genau, oder ich habe Stift und Zettel dabei und schreibe auf, was ich wissen möchte. Es ist so lustig, dass ich so oft solche Fragen gefragt werde. Ich glaube, die meisten Menschen denken die Dinge viel komplizierter als sie sind. Jeder ist schließlich in der Lage über diese Wege zu kommunizieren. Man muss es einfach halten, es ist nicht schwer.
Wir müssen die Technik nutzbar machen
Da hast du absolut recht, im Grunde ist es ja nicht anders, als wenn man eine Sprache nicht spricht.
Ganz genau. Du schreibst etwas auf, du gestikulierst. Ich habe neulich die google Translate App für mich entdeckt. Die ist lässig.
Aber zurück zur Kommunikation. Klettern an sich ist schon Kommunikation; und die Strategien sind da, beide Partner müssen sich nur einig sein und sich kennen. Deine Handpositionen, dein Gesichtsausdruck, deine Körpersprache – alles gibt deinem Partner Auskunft über dich. Und für konkrete Informationen, wenn du deine Hände nicht benutzen kannst, kannst du zum Beispiel mit deinen Beinen „sprechen“. Manchmal nutzen wir auch ein extra Seil-Set-Up, das am Gurt befestigt wird, das „Talk-Rope“. So umgehen wir, dass falsche Infos über das Kletterseil gesendet werden.
Ich bin gerade mit einer Firma im Austausch, die eine Art Walkie-Talkie-System entwickeln wollen. Die Geräte sollen dann zum Beispiel vibrieren oder Farbsignale senden. Sie wollen das gerne in die Kletter-Community bringen. Schauen wir mal, ob das klappt.
Klingt spannend. Ich könnte mir vorstellen, dass es das Klettern für Gehörlose mit Hörenden erleichtert, insbesondere spontane Seilschaften.
Ja, ich glaube, es gibt viele technische Möglichkeiten und wir sollten sie nutzen – und im Bezug auf Schwerhörigkeit gibt es definitiv noch Potential. Denke nur mal an die LVS-Geräte. Die meisten funktionieren im Suchmodus mit einem Ton, insbesondere bei der Feinsuche. Wie soll ich meinen verschütteten Freund finden? Wir müssen die Technik auch für die Anforderungen von Menschen mit Einschränkung zugänglicher machen.
Aber wie schon gesagt: Unabhängig von der Technik hängt ganz viel davon ab, dass man seinen Kletterpartner kennt – seine Körpersprache, seine Stärken und Schwächen am Fels, und dass man ein gemeinsames Kommunikations-Set-Up hat.
Du arbeitest also gerade daran, die technischen Möglichkeiten zu optimieren und möchtest hier Verbesserung schaffen. Mich würden neben diesen Zielen natürlich auch noch deine kommenden Projekte interessieren. Was steht noch auf deiner Kletter-Bucketlist in nächster Zeit?
Also, ich will trainieren und dann den El Capitan im Yosemite Nationalpark in Angriff nehmen. Also es versuchen (lacht). Zunächst muss ich ein Team finden, mit dem ich zusammenarbeiten kann. Leider nehmen viele Menschen Taube nicht ernst und haben zu viel Respekt. Noch dazu bin ich schon ein bisschen älter. Viele denken, ich sei ein Risikofaktor oder ich sei ein Klotz am Bein. Aber das stimmt nicht. Ich nehme so viel mehr wahr als viele andere Menschen, ich habe viele Stärken in mir.
Ich hoffe also, dass ich irgendwann in meinem Leben El Cap klettern kann und ansonsten veranstalte ich weiter meine Kletterevents mit meiner Community. Es gibt Events für taube Kletterer. Wir integrieren aber auch Hörende, die offen dafür sind. Sie müssen zwar keine Gebärdensprach können, aber sie sollten sie recht schnell lernen. (Lacht)
Vielen Dank für das Gespräch und deine Zeit. Und alles Gute für deine Events und das Projekt El Capitan.
Mehr zu Sonya Wilson und ihren Projekten gibt es auf ihrem Instagram-Profil deafclimber
Die EOFT ist noch bis Ende Januar 2023 in Deutschland unterwegs. Auf der Homepage findet ihr mehr Infos zur EOFT, den Trailer gibt’s hier auf bock-auf-draussen.de

Last modified: 29. November 2022