Kilian Jornet zählt zu den derzeit besten Extremsportlern. Doch was steckt hinter einem Menschen, der sich zu immer neuen Rekorden antreibt? Im Gespräch erzählt Jornet von seinen Träumen und seinem unerschöpflichen Drang neue Dinge zu entdecken.
Kilian, würdest du uns noch einmal gedanklich mit zurück auf den Mount Everest nehmen? Du hast im letzten Jahr den Gipfel zweimal innerhalb einer Woche bestiegen. Beim ersten Versuch, der länger dauerte als geplant, hattest du ein paar Probleme. Dein Team wusste lange Zeit nicht genau, wo du dich gerade befindest. Ich würde gerne wissen, wie dramatisch die Situation wirklich war und warum du nicht abgebrochen hast. Zudem warst du ohne Sauerstoff da draußen unterwegs. Was ist dir durch den Kopf gegangen?
Als ich im Basecamp zu meinem ersten Versuch aufgebrochen bin, habe ich mich sehr gut gefühlt. Bis etwa 7.600 Meter war das Gefühl auch weiterhin sehr gut. Ab dieser Höhe habe ich Magenschmerzen bekommen und ich merkte, es läuft nicht mehr perfekt. Ich bin aber weiter aufgestiegen, um zu sehen, ob es mit der Zeit besser wird. Bei etwa 8.000 Metern wurde mir jedoch klar, dass ich ernsthafte Magenprobleme habe. Dann habe ich für mich abgewogen. Einerseits, dass der Gipfel noch weit weg ist, aber nicht unerreichbar weit. Und anderseits, der Weg zurück ist auch sehr weit, um es dann erneut von unten zu versuchen. Also habe ich mir gesagt: „Okay, ich habe sonst keinerlei körperliche Probleme, fühle mich nicht kalt, ich kann also weitergehen, bis ich merke, dass es zu gefährlich wird. Es war die beste Entscheidung weiterzugehen. Mein Team unten dachte jedoch schon darüber nach, was da wohl los ist. Wir hatten aber keine Möglichkeit der Kommunikation. Dies ist für mich genau der Reiz, den Bergsteigen ausmacht. Dort oben zu sein und seine eigenen Entscheidungen zu treffen, weiterzumachen, auch wenn es nicht die besten Voraussetzungen sind.
Da sind also Gefühle der Sorge, mit denen man umgehen muss. Man sollte dort oben genau wissen, was man noch kontrollieren kann. Beschreibe doch bitte einem nicht so bergerfahrenen Menschen, wie sich der Körper in so einer Höhe verhält. Was genau ist der Unterschied, wenn man sich dort oben oder unten am Boden bewegt?
Wenn man sich auf 8.000 Metern Höhe bewegt, geht alles langsam. Natürlich treibst du dich weiter voran, du versuchst es zumindest. Du bewegst dich zehn Meter nach vorne, dann hältst du an und dann gehst du wieder weiter. Man kommt nicht schnell vorwärts, benötigt jedoch jede Menge Energie dafür. Auch mental gesehen ist es sehr hart in dieser Höhe. Die Art zu denken wird stark beeinflusst. Schon eine einfache Rechnung, wie 2 plus 5, dauert sehr lange. Jede Entscheidung, auch die weiterzumachen, wird schwer. Da sind viele Gedanken im Spiel wie zum Beispiel: „Ich möchte nicht mehr leiden, ich möchte zurückgehen, ich möchte umkehren.“ Es ist ein stetiger Kampf zwischen: ich möchte weitergehen und ich möchte umdrehen.
Wenn du einen Moment herausstellen möchtest, an den du dich für immer erinnern wirst. Wäre das ein Moment an dem du gekämpft hast, der Moment auf dem Gipfel, oder der Weg zurück? Es ist ja das eine dort oben hinzukommen, dann aber auch wieder abzusteigen.
Der Moment auf dem Gipfel ist einer, an den ich mich sehr gut erinnern kann. Es ist jedoch eher ein Moment der Erleichterung, dort oben angekommen zu sein, keine überschäumende Freude. Man ist froh, dass es nicht mehr weiter raufgeht, nur noch runter. Aber man ist sich auch bewusst darüber, dass es noch sehr weit bis unten ist und immer noch sehr viel passieren kann. Es gab aber auch Momente, wie diesen wunderschönen Sonnenuntergang. Auf 8.700 Metern einen Sonnenuntergang zu erleben ist unglaublich. Dort zu sein mit einem Gefühl der Zuversicht, mit sich selber im Reinen, die Nacht kommt und zu wissen, dass man die ganze Nacht diese Berge für sich ganz alleine hat … An dieses Gefühl wird man sich wahrscheinlich für immer erinnern.
Möchtest du noch einmal zurück zum Everest? Gibt es Pläne in diese Richtung?
Ich möchte ganz sicher noch einmal zurückkehren. Interessant war für mich, dass wir es durch eine besondere Vorbereitung für diesen Aufstieg geschafft haben, dass ich mich schneller akklimatisiere. Zudem hatten wir eine gute Strategie und Logistik in den Bergen. Für mich haben sich dadurch neue Möglichkeiten aufgetan, die mich von anderen Projekten träumen lassen.
Jetzt warst du auf dem Dach der Welt. Gibt es noch etwas für dich zu entdecken?
Kilian: Es gibt noch ganz viele Plätze zu entdecken.
So eine Expedition ist hart, sowohl physisch als auch mental. Auch für die Menschen, um dich herum. Jeder der dir nah ist, wie deine Familie, aber auch deine Sponsoren, geht damit anders um. Was sagen Familie und Freunden dazu, dass du solche „Ausflüge“ unternimmst? Besprichst du das im Vorfeld mit deiner Familie, oder mit Emelie? Wie willst du das zukünftig handhaben? Emelie sagte, sie sei doch sehr angespannt gewesen…
Es war meine Entscheidung, bei dieser Expedition komplett ohne irgendein Kommunikationsmittel auszukommen. Das macht die Erfahrung für mich so unglaublich intensiv. Aber natürlich ist auch das Gefühl für die Menschen zu Hause sehr intensiv. Während meines ersten Aufstieges gab es für etwa 20 Stunden keine Nachrichten von mir. Beim zweiten Aufstieg in etwa für die gleiche Zeit. Für mich war das in der Situation einfacher. Ich war dort draußen unterwegs, war beschäftigt. Aber für alle zu Hause grausam, so viele Stunden ohne irgendeine Rückmeldung und das bei schlechtem Wetter. Vielleicht dachten sie, ich bin tot. Sicherlich ist das kein gutes Gefühl. Als ich nach Hause zurückkam sagte Emelie zu mir: „Siehst du diese vier weißen Haare, die habe ich dir zu verdanken!“ Ich denke, wir werden in dieser Hinsicht bei den nächsten Expeditionen etwas verändern.
Musst du die Dinge mit der „Chefin“ klären? Entscheidest du nicht alleine?
Ein Tracker nur für Familie und Freunde, wäre bestimmt eine sinnvolle Überlegung. Vielleicht auch ein Satellitentelefon. Nicht, um es für Entscheidungen zu benutzen, aber für eine Problemsituation. Oder einfach nur, um zu sagen, dass es einem gut geht.
Was ist an deinem Beruf einzigartig in Bezug auf dich und Menschen, die dir nah sind? Viele verschiedene Risiken müssen berücksichtigt werden.
In meinen Augen ist es eine sehr selbstbezogene Aktivität, die ich ausübe. Man macht es nur für sich, zusätzlich geht man einige Risiken ein. Niemand möchte einen Unfall haben, sich verletzen oder gar sterben. Aber es besteht immer die Möglichkeit. Mit seiner Erfahrung versucht man alles, um dies zu vermeiden. Und natürlich ist es wichtig dabei, an all die Menschen zu denken, die um mich herum sind. Nicht nur an die Familie, sondern auch an mein Team. Viele Menschen unterstützen mich dabei und arbeiten für diese eine Sache. Dieses Verständnis für das Team, für die Familie ist sehr wichtig im Bereich Alpinismus.
Gibt es noch andere Dinge?
Kilian: Man braucht auch eine gewisse körperliche Stärke. Gerade in den schwierigen Momenten hilft diese Stärke. Oder dann, wenn du im Training oder in den Bergen zweifelst.
Hinweis: Das Interview wurde von Salomon zur Verfügung gestellt.
Bilder: ©Kilian Journet
Last modified: 25. März 2018